Kindheit

Meine Kindheit war geprägt vom Satz ‚Wir müssen sparen, damit wir ein Haus bauen können!‘. Bis zu meinem 13. Lebensjahr hauste unsere kleine Familie in einer Dienstwohnung der Post, wo es weder ein Badezimmer noch eine Dusche gab. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als kleiner Stöpsel aus der Küche ausgesperrt wurde, wenn sich Mutter oder Schwester im Lavor wuschen. Wir Kinder trugen entweder Selbstgeschneidertes oder abgelegte Kleidung einer wohlbetuchten Ärztefamilie. Vor sechzig Jahren gab es keine Gratisschulbücher und keine Familienförderung. Die heute praktizierte Wohlstandsgesellschaft mit dem luxuriösen Scheinleben auf Pump hatte damals keine Daseinsberechtigung. Mein erstes sauer verdientes Geld als Kohlenträger einer alten Frau verfütterte ich an die Flipperautomaten in einem Spielsalon. Wenn ich heimlich eine filterlose Zigarette meines Großvaters rauchen konnte, fühlte ich mich unglaublich erwachsen. Da mein Vater als Fernmeldeoberinspektor meist irgendeinem ‚Kabelfehler‘ auf der Spur war und sich meine Mutter um den Hausbau kümmern musste, war ich untertags mit Freunden auf dem ‚Drahtesel‘ unterwegs oder rannte der ‚Lederwuchtel‘ hinterher.

Als ich die Oberstufe des Gymnasiums erreichte, änderte sich meine Situation schlagartig. Erstens zogen wir in das nach sieben Jahren endlich fertiggestellte Haus, zweitens konnte ich als gewiefter Mathematiker die ersten Nachhilfestunden erteilen und damit meine Finanzen aufbessern. Ich hatte mein eigenes Zimmer, wo ich zu den Klängen von Robin Gibbs ‚Saved by the bells‘ den Träumen über meine erste große Liebe nachhängen konnte. Voller Freude kaufte ich mir eine pinkfarbene, mit weißen Blumen bedruckte Schnürlsamthose, ein rosafarbenes Hemd und schwarze Lackschuhe. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich ‚hip‘ und nicht wie ein Kleiderständer aus dem Gebrauchtwarenlager. Ich ließ mir lange Haare wachsen, brachte mir selbst die ersten Akkorde auf der Gitarre bei und war bereit für das Abenteuer Leben.

Jugend

Die Jahre vor meiner Reifeprüfung waren hauptsächlich dem Sport gewidmet. Ich trat einem Tischtennisverein bei und stellte dort erstmals den Ehrgeiz eines Widders unter Beweis, indem ich mich innerhalb von wenigen Jahren in die steirische Spitze hochspielte. Meinen sportlichen Ambitionen kam zum Leidwesen meiner Mannschaftskollegen die musikalische Begeisterung in die Quere. Ich stieg als Schlagzeuger in eine Band mit dem klangvollen Namen „Love a dream“ ein, wo ich alsbald zum Keyboarder, Gitarristen und Frontman mutierte. Statt zum Tischtennisschläger griff ich immer öfter in die Saiten und spielte am Wochenende in einem verrauchten Tanzlokal und nicht mehr in einer nach Schweiß miefenden Halle. Beim weiblichen Geschlecht fand meine neue Leidenschaft deutlich größeren Anklang, und wenn ich ‚I’d love you to want me‘ ins Mikrofon säuselte oder aus voller Kehle ‚It’s now or never‘ ins Publikum schmetterte, lag mir so manches Mädchenherz zu Füßen.

Inzwischen hatte ich die Matura mit gutem Erfolg hinter mich gebracht und widmete mich ‚voller Begeisterung‘ meinem Studium aus Mathematik und Darstellender Geometrie. Obwohl mir nach wenigen Wochen klar wurde, dass auf der Uni ein anderer Wind wehte als im Gymnasium, zog ich mit meinem sprichwörtlichen Dickschädel die fünf Jahre bei den ‚blutarmen Blutsaugern‘ durch, wie ein Studienkollege die Hochschulprofessoren titulierte. Daneben studierte ich Gesang und widmete mich voller Hingabe der Harmonielehre, Kompositionstechnik und Instrumentierkunde. Das Ergebnis dieser Bemühungen zeigte sich in einer Reihe von Eigenkompositionen, die ich meinen Bandkollegen unterjubelte. Den ersten Höhepunkt erreichten meine diesbezüglichen Bestrebungen im Jahr 1982, als die romantische Rockoper ‚Der Traum eines Lebens‘ in Bruck an der Mur uraufgeführt wurde.

Lehrberuf

Von 1980 bis 2020 war ich als Lehrer tätig. Zunächst 22 Jahre an einer Höheren Technischen Lehranstalt, wo ich hauptsächlich Mathematik, Darstellende Geometrie, Informatik und CAD (computerunterstütztes Konstruieren) unterrichtet habe. Danach an der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in Leoben, wo ich die Chance ergriffen habe, den Ausbildungszwei „Kommunikations- und Mediendesign“ zu etablieren. In den letzten Jahren meines Lehrberufs unterrichte ich ausschließlich am Computer, wobei sich der Bogen vom Erstellen professioneller Webseiten bis zur Bildbearbeitung und zum Videoschnitt spannte.

Zwischenzeitlich war ich auch in der Erwachsenenausbildung tätig und führte eine Zeit lang ein eigenes Schulungszentrum für EDV und CAD. Viele Jahre meines Lebens sind in das Schreiben professioneller Arbeitsunterlagen, Skripten und Bücher für den EDV-Unterricht geflossen. Diese Tätigkeit kann mit Fug und Recht als Sisyphusarbeit bezeichnet werden. Kaum ist ein Skriptum fertiggestellt, erscheint eine neue Programmversion und das Spiel beginnt von vorne.

Der Lehrberuf hat mir bis zuletzt Freude bereitet. Außer es stand eine Schularbeit über das Programmieren an, wo die Ergebnisse direkt proportional zum ‚überwältigenden‘ Fleiß des Großteils der Schüler und Schülerinnen waren. Ansonsten hatte ich mit ihnen und sie mit mir einigen Spaß, vor allem, wenn sie an kreativen Projekten wie Fotomontagen, Radiowerbungen und Musikvideos basteln durften.

Weihnachtskonzert an der HLW Leoben

Rollenspiele

Viele Jahre meines Lebens habe ich mich in Hunderte Rollenspiele vertieft und ganze Abende in Mittelerde, Azeroth, den Vergessenen Welten oder Tyria verbracht. Dabei bin ich in die Gestalt von Elfen, Zwergen und anderen Fabelwesen geschlüpft, habe mich mit der Kultur meiner Avatare auseinandergesetzt, mit ihrem Wesen und ihrem Charakter. Während meiner Streifzüge durch die Wälder Kalimdors wurde ich zum Nachtelf, der die Einschnürung seines Volkes durch die Horde bekämpfte. Als Hobbitdame bin ich im Auenland herumgegeistert, habe voller Begeisterung gekocht und mein Land bebaut. Ich habe unzählige Schlachten für das Gute geschlagen, Kummer verspürt, wenn einer der Gefährten uns verließ, und Freude, wenn wir letztendlich siegreich waren.

Zuerst war ich allein in diesen Welten unterwegs, nur mit meiner ausufernden Fantasie als Begleiter. Danach habe ich in den virtuellen Welten des Internets eine große Zahl von Gleichgesinnten gefunden, die den Alltag hinter sich lassen und als strahlender Held oder mitfühlende Heldin gegen das Böse obsiegen wollten. Freundschaften wurden geschlossen, Gilden gegründet und Schlachtzüge organisiert. Böse Zungen mögen behaupten, dass ausschließlich Verrückte an einem Liederabend in Darnassus teilnehmen können oder an einem Festbankett in Bree. Doch Eingeweihte wissen, dass man sich wie ein Schauspieler in seine Rolle versetzen kann, mit allen Empfindungen, die eine so starke Identifikation mit dem Avatar hervorrufen können: Frust und Fröhlichkeit, Liebe und Leid.

Die Figur des Elfenkriegers Carelis hat mich wohl am längsten begleitet. Er war ein starker Kämpfer und zugleich ein Poet, der die Erkenntnisse besungen hat, die ihm im Laufe seines Lebens zuteil wurden. Ich habe viel von ihm, seinen Gefährten und Freunden gelernt. Letztendlich ist er dafür verantwortlich, dass ich mich wieder dem Schreiben und Musizieren zugewendet habe, sein Rufname Care ist mir auch im realen Leben geblieben.