Sinn des Lebens
Die Frage, worin der Sinn unseres Lebens liegt, gehört zu den meistgestellten und meistdiskutierten. Während die christliche Religion darauf beharrt, jedem Menschen nur eine Chance zu geben, sieht der esoterische Ansatz eine Vielzahl von Wiedergeburten und ein damit verbundenes ‚Reifen‘ der Seele vor. Beide Ideologien haben ihre Für und Wider, ihre Stärken und Schwächen. Der Glaube an die Reinkarnation erscheint logischer, wenn Kinder direkt nach der Geburt sterben und somit keine Möglichkeit hatten, ihre Seele ins Licht zu führen. Außerdem widerspricht der Gedanke an eine ewige Verdammnis der christlichen Lehre des Verzeihens und der Güte. Kein irdischer Vater würde sein Kind ewigen Höllenqualen ausliefern, Gott hingegen sollte zu solcher Unbarmherzigkeit fähig sein?
So unterschiedlich die christliche und die esoterische Denkweise sein mögen, eines ist ihnen gemeinsam: Die Seele soll sich entfalten und gedeihen, bis sie in aller Demut göttliche Perfektion erreicht. Die meisten Menschen sehen sich außerstande, diesen Anspruch zu erfüllen, also folgen sie einfacher gestrickten Philosophien. Folgende Leitsätze prägen das neue Jahrhundert:
„Genieße dein Leben, denn du lebst nur einmal!“
„Schau nicht in die Vergangenheit und Zukunft, sondern lebe für den Moment!“
Die Kurzlebigkeit unserer Beziehungen und Ziele wird durch die wachsende finanzielle Unsicherheit verstärkt. Das Sprichwort „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!“ hat ausgedient und wurde durch den Slogan „Kaufe heute und zahle morgen!“ ersetzt. Sogar auf Kinder und Jugendliche wird der Druck ständig größer, bestimmte Güter besitzen zu müssen, um ‚in‘ zu sein. Mit der falschen Kleidung und ohne Handy steht ein Teenager rasch im Abseits.
Welche Werte sollen Eltern ihren Kindern demnach vermitteln? Worin liegt der Sinn des Lebens in einer derart hektischen, von materiellen Wunschvorstellungen geprägten Zeit? Meiner Ansicht nach liegt die Antwort im ‚Geben und Nehmen von Liebe‘ und im ‚Gewinnen von Erkenntnissen‘. Zwei einfach klingende Forderungen, hinter denen sich ein hoher Anspruch verbirgt. Sowohl über die Liebe wie auch über das Erlangen von Weisheit könnte man seitenlange Abhandlungen schreiben. Die folgende Formulierung ist vielleicht einfacher zu verstehen:
„Bewahre dir deine kindliche Neugier und Unvoreingenommenheit!“
Wer noch in der Lage ist, mit offenem Mund zu staunen, dem fliegen Zuneigung, Erfahrungen und Eindrücke zu.
Sinn des Lernens
Oft wurde ich von meinen Schülern gefragt, worin der Sinn des Lernens liegt. Vor allem die ‚schwierigen‘ Fächer wie zum Beispiel die Mathematik wecken den Unmut der Heranwachsenden. Wenn in einem solchen Gegenstand eine schlechte Note ins Haus steht, gipfelt die Verdrossenheit meist in Schimpfkanonaden gegen die Lehrperson, die den ‚gehassten‘ Stoff vermittelt. Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für diese Kollegen brechen, die meist schwer unter der Ablehnung der ihnen anvertrauten Eleven leiden. Jugendliche in einer von Social Media geprägten Zeit für logische Ableitungen und mystisch klingende Axiome zu begeistern, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Sobald sich das Verständnis der Schüler direkt proportional zu ihrer minimalistischen Lerneinstellung verhält, schalten sie auf ‚Durchzug‘. Spätestens zu diesem Zeitpunkt überträgt sich der Frust der Kinder auf die Lehrer und die Katastrophe ist vorprogrammiert.
Dabei sind wir Menschen mit einer angeborenen Neugier ausgestattet, die Kinder zumindest im Vorschulalter voller Freude auf die kommenden Jahre des Lernens blicken lässt. Der Gedanke, in die Schule zu gehen, um lesen, schreiben und rechnen zu lernen, birgt für sie nichts Negatives. Deshalb stellt sich die berechtigte Frage, warum innerhalb weniger Jahre für unsere Sprösslinge der Unterricht in vielen Gegenständen zum lebendig gewordenen Albtraum mutiert. Unzählige Bildungsexperten setzen sich mit diesem Phänomen auseinander – zum Leidwesen aller Beteiligten ohne großen Erfolg. Die meisten Ansätze lassen die geänderte Gesellschaftsstruktur außer Acht und versuchen lediglich, der aktuellen Schullandschaft durch Reförmchen einen neuen Anstrich zu verleihen. Faktum ist, dass die kleinen Prinzessinnen und Prinzen, die zumeist als Einzelkinder im materiellen Überfluss aufwachsen, mit den soziologischen Strukturen eines überfüllten Klassenzimmers hoffnungslos überfordert sind. Tatsache ist ebenfalls, dass die Ausbildung den Großteil der heute unterrichtenden Lehrer in keiner Weise auf die täglichen schulischen Herausforderungen vorbereitet hat.
Das traurige Endergebnis der frustgeladenen Konfrontation von Lehrern und Schülern spiegelt sich deutlich in den diversen Leistungstests wider. Das österreichische Bildungsniveau befindet sich seit Jahren auf einer schwindelerregenden Talfahrt, woran die neuen kompetenzorientierten Lehrpläne nichts ändern werden. Persönlich halte ich es für erschütternd, wiedie ursprüngliche Freude am Lernen während der Schullaufbahn verloren geht. Dabei ist die lebenslange Fortbildung in unserer Informationsgesellschaft, wo sich das Wissen explosionsartig erneuert, wichtiger als je zuvor. Während die Jugend mit den technischen Innovationen Schritt hält, geht das Allgemeinwissen sukzessive verloren. Für unsere Kinder ist es ungleich wichtiger zu erfahren, welche neuen Apps sie auf ihr Handy laden können, als über die Flora und Fauna ihrer Umgebung Bescheid zu wissen. Goethes literarische Meisterwerke sind ihnen ebenso gleichgültig wie Mozarts Klaviermusik, und die mathematischen Errungenschaften eines Carl Friedrich Gauß entlocken ihnen höchstens ein ungläubiges Kopfschütteln.
Zum Glück finden viele Jugendliche nach ihrer Schullaufbahn zur Freude am Lernen zurück. Plötzlich zeigen sie ein außerordentliches Interesse an den unglaublichsten Dingen, lernen in Windeseile Fremdsprachen und setzen sich mit philosophischen Denkweisen auseinander. Manchmal scheint es, als würden sie neue Erkenntnisse wie ein trockener Schwamm in sich aufsaugen, nachdem sie das schulische Korsett abstreifen konnten.
Was ich mir persönlich von einer modernen Schule wünschen würde? Neben den gängigen Forderungen wie kleinere Klassengrößen, bessere, zielorientierte Ausbildung der Lehrer und maßgeschneiderte Strukturen, die nicht auf Parteipolitik und Kompromissen beruhen, stelle ich einen Leitsatz in den Raum: ‚Zurück zu den Wurzeln!‘
Obwohl das sture Auswendiglernen und ständige Üben elementarer Grundkenntnisse sowohl bei den Experten wie auch bei den Schülern auf Ablehnung stößt, halte ich es für unbedingt erforderlich. Eine ordentliche Rechtschreibung und einen flüssigen Schreibstil lernt man nur, wenn man viel zu Papier bringt. Den sicheren Umgang mit Zahlen erarbeitet man sich nicht in Gruppenarbeit, sondern durch seitenlanges Rechnen. So wie ein angehender Tennisspieler stundenlang Bälle über das Netz drischt, um seinen Grundschlag zu perfektionieren, so muss der Schüler viel schreiben, rechnen und lesen. Während man diese ‚Knochenarbeit‘ in Sport und Kunst längst akzeptiert hat, setzen unsere Bildungsautoritäten nach wie vor auf das spielerische und frustfreie Lernen in Projekten. Ohne zu bedenken, dass durch diese antiautoritäre Haltung der Frust im späteren Schulleben vorprogrammiert wird.
Während man in den Entwicklungsstaaten erkennt, wie wichtig eine ausgewogene Bildung für die persönliche Entwicklung ist, versinken wir in einer Flut aus gehaltlosen Informationen. Mein größter Wunsch wäre demnach, dass ‚Lernen‘ wieder als wesentlicher Bestandteil unseres Lebens gesehen wird und nicht als lästige Verpflichtung.
Sinn des Glaubens
Bei nahezu allen Völkern auf dieser Erde finden wir den Glauben an einen Gott. Er mag Allah heißen oder Manitu, Odin oder Zeus, vor Tausenden von Jahren existent gewesen sein oder heute. Die meisten Menschen sehnen sich nach einem überirdischen Wesen, bei dem sie sich über ihr Unglück beklagen oder das sie um eine besondere Gnade bitten können. Solange es ihnen gut geht, hat der Glaube für die meisten Mitglieder unserer Wohlstandsgesellschaft keinen besonderen Stellenwert, außer bei Taufe, Firmung oder einer romantischen Hochzeit in Weiß. Doch kaum bricht ein Unglück in Form von Krankheit, Tod oder einer Unwetterkatastrophe über sie herein, erhebt sich die Frage nach Gottes Gerechtigkeit. Wie soll eine Mutter auch akzeptieren können, dass ihr Kind im Alter von drei Jahren bei einem Unfall ums Leben kommt? Und wie kann ein gütiger Gott zulassen, dass ganze Landstriche durch einen Tornado verwüstet werden? Besonders quälend ist es, wenn menschliche Bestien anderen über Jahre hinweg Schaden zufügen, ohne von der weltlichen Justiz zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und wenn in einem solchen Fall auch die göttliche Gerechtigkeit auf sich warten lässt, gerät der Glaube bei den meisten Menschen gehörig ins Wanken.
Menschen pochen zwar auf das Recht, eigene Entscheidungen treffen zu können, doch wenn sie die Konsequenzen ihrer Handlungen zu spüren bekommen, machen sie eine ungerechte Vorsehung dafür verantwortlich. Dabei enthält das alte Sprichwort ‚Jeder ist des eigenen Glückes Schmied’ ein großes Körnchen Wahrheit. Alles, was wir sagen oder tun, beeinflusst mehr oder weniger unser weiteres Leben. Dazu kommen die Prüfungen des Schicksals, an denen unsere Seele reift. Niemand wünscht sich eine Krankheit herbei, aber oftmals bekommen wir durch eine längere Leidenszeit einen neuen Blick auf die wichtigen Dinge in unserem Leben. Glaube kann sich unter anderem darin zeigen, dass wir zu jedem Zeitpunkt unseres Daseins die nötigen Instrumente in die Hand bekommen, um die Probleme bewältigen zu können, mit denen wir konfrontiert werden.
Der Glaube an ein höheres Wesen mag für manche ein Trost sein, doch entbindet er uns nicht von der Verantwortung für unsere Taten. Für mich steckt ‚Gott‘ in unserer Seele, und jede Hürde, die wir meistern, bringt den unsterblichen Teil von uns ein kleines Stückchen voran. Meine persönliche Sicht ist eine sehr liberale, die sich mit den strengen Richtlinien einer Religionsgemeinschaft nicht vereinen lässt. Ich werde überaus misstrauisch, wenn sich Menschen ein Urteil über die Lebensweise anderer Menschen anmaßen. Jeder sollte seinen persönlichen Vorlieben und Neigungen nachkommen dürfen, solange er anderen dadurch keinen Schaden zufügt. Kirchenväter, die mit der strafenden Gerechtigkeit Gottes drohen, die den Sündern die ewige Verdammnis bringt, hatten und haben eher die eigene Macht im Blickpunkt als das Seelenheil der ihnen anvertrauten Schäfchen. Kein menschlicher Vater würde seine Kinder den ‚Flammen der Hölle‘ ausliefern, ein Gott der Liebe sollte es tun? Verzeihen zu können, ist eine der größten Tugenden, und jede Seele sollte die Chance bekommen, aus ihren Fehlern zu lernen. In diesem Leben oder in einem nächsten.